Sonstiges

Zirkus Barnum & Bailey machte 1901 mit der „größten Show der Welt“ in Schwerin Station

Bernd Kasten

Dass ein Zirkus seine Zelte in Schwerin aufschlug, war Anfang des 20. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches. Ein paar Artisten, einige schöne Pferde, vielleicht ein oder zwei Elefanten, das kannten die Schweriner. Aber was im August 1901 in die Stadt einfiel, das hatten die Menschen noch nie gesehen. Der amerikanische Zirkus Barnum & Bailey, „The Greatest Show on Earth“ – wie die Eigenwerbung versprach, war mit 700 Menschen, 400 Pferden und 30 Elefanten in jeder Hinsicht ein Unternehmen der Superlative. Für seine vierjährige Tour durch Europa hatte Direktor James Bailey 1897 eigens 67 Waggons anfertigen lassen, die zu vier Sonderzügen mit einer Gesamtlänge von über einem Kilometer formiert wurden. Artisten und Arbeiter schliefen in den Zügen. Dieser Zirkus war immer in Bewegung. Nur in den großen Städten blieb er mehrere Tage, in den kleineren Orten wie Schwerin kaum zwölf Stunden. Ruhetage gab es nicht, denn wie die „Mecklenburger Nachrichten“ nicht ohne Bewunderung feststellten: „Zeit ist Geld“.

Nachdem der Zirkus am Abend des 18. August seine letzte Vorstellung in Rostock gegeben hatte, trafen die vier Sonderzüge zwischen Mitternacht und 4 Uhr morgens in Schwerin ein. In Windeseile begannen die Arbeiter dann ab 5 Uhr morgens mit der Errichtung einer Zeltstadt auf dem Exerzierplatz auf dem Großen Dreesch. Eine eigene Dynamo-Maschine sorgte für Strom und elektrische Beleuchtung. Trotz der frühen Stunde stellte die Zeitung eine „wahre Völkerwanderung“ fest, die das Entladen der Tiere und ihren Transport die Wismarsche Straße entlang beobachtete: „Ganze Herden von exotischem Getier trotteten über unser solides Pflaster, Elefanten, weiße und braune Dromedare und Kamele, zierliche Tigerpferdchen, Zebras und Quaggas, Lamas und Guanacos“. Während die Schweriner die Tiere bestaunten, waren die Zirkusleute vor allem beeindruckt vom Blick auf das Schweriner Schloss, „the beautiful castle grounds of the Grand Duke“.

Bis Mittag war alles aufgebaut und die Beschäftigten konnten im riesigen Speisezelt eine Mahlzeit zu sich nehmen. Für die Journalisten bot sich die Gelegenheit, die Künstler privat zu beobachten: „Mademoiselle Clifford, die Schwertschluckerin, hat ihre unheimliche Leidenschaft für den Augenblick vergessen, um an einem Sahnetörtchen zu knappern.“

Ab 12.30 Uhr war dann das vor dem eigentlichen Zirkuszelt gelegene „Menageriezelt“ geöffnet. In Käfigen wurden hier wie im Zoo Löwen, Tiger, Panther, Eisbären, Antilopen und Strauße gezeigt. Mehr hatten diese Tiere nicht zu tun, nur die Pferde und Elefanten waren in Dressuren eingebunden. Außerdem gab es im Zelt auch so genannte „menschliche Abnormitäten“ – eine am ganzen Körper tätowierte Frau, einen extrem dicken Mann, eine kleinwüchsige Frau, einen Mann ohne Arme, eine Frau mit Bart...

Um 14 Uhr begann die Nachmittagsvorstellung in dem über 12 000 Plätze fassenden Hauptzelt. Ein einfacher Sitzplatz kostete eine Mark, ein Logenplatz 6 Mark. Für einen Arbeiter, der damals ca. 3 Mark am Tag verdiente, war das viel Geld – zumal wenn er Frau und Kinder mitnehmen wollte.

Dafür wurde dann freilich auch einiges geboten. Das Hauptzelt umfasste zwei Bühnen, drei Manegen und eine das Ganze umgebende Rennbahn. Es gab herausragende Nummern wie die Pferdedressuren und die Trapezkünste der Seigrist-Silbon-Truppe. Aber darauf kam es eigentlich gar nicht an. Denn das ganze Konzept war nicht auf die ruhige Betrachtung eines einzelnen Kunststücks, sondern auf die bewusste Überwältigung des Zuschauers angelegt.

Um 19.30 Uhr begann die Abendvorstellung. Beide Vorstellungen waren ausverkauft. Da Schwerin damals nur 39 000 Einwohner hatte, war offensichtlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung in das Zirkuszelt geströmt. Hinzu kamen noch viele Besucher aus den umliegenden Dörfern, die bis in den Abend die örtliche Gastronomie belebten. Zeitgleich mit dem Beginn der Abendvorstellung begannen die Arbeiter damit, die anderen Zelte abzubauen und zum Bahnhof zu bringen. Unmittelbar nach Schluss wurde auch das Hauptzelt abgebrochen und um Mitternacht verließ der letzte Sonderzug Schwerin Richtung Lübeck, wo der Zirkus in wenigen Stunden um 14 Uhr am 20. August seine nächste Vorstellung geben würde.

Im November 1901 endete die Europatournee von Barnum & Bailey. Zu einer Zeit, als es noch kein Kino und kein Fernsehen gab, muss die Wirkung der „Greatest Show on Earth“ auf einen mecklenburgischen Landarbeiter überwältigend gewesen sein. Noch mehr als von der Vorführung zeigten sich alle Betrachter von der überragenden Organisation beeindruckt. Die „staunenswerte amerikanische Fixigkeit“ faszinierte die Deutschen hierbei ebenso wie das „amerikanisch Riesenhafte“ des ganzen Unterfangens.

 

Kleine-Dreesch-Geschichte

Zusammengestellt von Gert Ullrich